Pages Navigation Menu

Emmanuelle Polack

Kunsthandel in Paris Drehscheibe für die Nazis

Kunsthandel in Paris Drehscheibe für die Nazis

Die französische Regierung bewegt sich in Sachen der während der Nazi-Raubzüge konfiszierten Kunstwerke und Bücher.
Die rund einhunderttausend Kunstwerke und fünf bis zehn Millionen Bücher, welche die deutschen Besatzer jüdischen Sammlern oder Galeristen stahlen oder abpressten, wurden meist versteigert oder am Schwarzmarkt verkauft.
Am häufigsten in Richtung Deutschland oder Schweiz.
Rund 60 000 Objekte kamen 1944 nach Frankreich zurück. Davon restituierte man rund 45 000, sofern ihre Eigentümer oder deren Erben sie beanspruchten.
Wobei die ursprünglichen Eigentümer oder deren Nachfahren ihren
rechtlichen Anspruch beweisen mussten. Nach Verkäufen von weiteren 13 000 Objekten verwahren die französischen Museen und Bibliotheken seit
70 Jahren etwa 2 000 Werke, die nun in der Datenbank
„Base Rose Valland“ abrufbar sind.
Im April dieses Jahres setzte Frankreichs Kulturminister Franck Riester die „Nachforschungs- und Restitutionsmission für geraubtes Kulturgut von
1933 bis 1945“ ein. Ihr Leiter ist der Kunsthistoriker David Zivie.
Eigentlich ist es paradox, die genealogischen Nachforschungen erst jetzt zu betreiben. Der Widerstand gegen die Rückgabe der Raubkunst war jedoch jahrzehntelang europaweit enorm.
Der französische Staat lockerte seine Haltung im Jahr 1995, als der damalige Staatspräsident Jacques Chirac offiziell die Verantwortung des französischen Staats anerkannte.
Der Staat habe den „kriminellen Wahnsinn der Besatzer“ freiwillig unterstützt. Nach ersten Publikationen zu der Résistance- Kämpferin Rose Valland im Jahr 1961 dokumentierten die amerikanische Historikerin Lynn H. Nicholas
und der Journalist Hector Feliciano im Jahr 1995 die Raubzüge, Beschlagnahmungen und Zwangsverkäufe während der deutschen Besatzung in Frankreich.
Jetzt veröffentlicht die französische Historikerin Emmanuelle Polack eine vereinfachte Version ihrer Doktorarbeit unter dem Buchtitel „Der Kunstmarkt während der Besatzung. 1940 – 1944“. Polack
kuratiert auch die gleichnamige Ausstellung im Pariser Gedenkzentrum „Mémorial de la Shoah“, wo sie erstmals Originaldokumente aus verschiedenen
Archiven präsentiert. Signifikante geraubte
Objekte, Plakate von Versteigerungen, die
Ankündigung, dass Juden das Versteigerungshaus
Hôtel Drouot nicht mehr betreten durften, ergänzt
Polack durch Kojen mit Erinnerungen an drei vertriebene,
beraubte Pariser Galeristen: Pierre Loeb
von der Galerie Pierre, Paul Rosenberg und René
Gimpel, deren Nachfahren ihre Archive öffneten.
Polack konsultierte rund 3 000 Auktionskataloge.
Die dort notierten Preise, Namen der Verkäufer
und der Käufer zeichnen ein unerbittliches Protokoll
der Pariser Marktsituation.
Denn Paris war während der Besatzung weltweit
der erste Kunstmarktplatz. Ab 1940 dominierten
drei Auktionatoren: Etienne Ader, Alphonse Bellier
und Henri Baudouin versteigerten geraubte Sammlungen
jüdischer Herkunft komplett. Unterstützt
von den Expertenhändlern André Schoeller oder
Martin Fabiani, die auch direkt an die Besatzer
oder an deutsche und französische Zwischenhändler
verkauften. Der schwungvolle Handel betraf alle
Epochen von den Altmeistern bis zur Moderne.
Die Verwalter der enteigneten und „arisierten“
Galerien beteiligte sich an dem florierenden Markt.
Übrigens organisierte auch die 1941 gegründete Galerie
Charpentier, heute Pariser Sitz von Sotheby’s
in bester Lage gegenüber dem
Élysée-Palast, mehrere Versteigerungen.
Das zeigt etwa das
auf dem Buchumschlag von Polack
abgebildete Foto.
Pikanterweise wurde die 1944
fotografierte elegante Dame, die
als Privilegierte in der ersten
Reihe sitzt, auf dem für die Medien
bestimmten Foto entfernt.
„Aus rechtlichen Gründen“,
lässt das Mémorial de la Shoah
mitteilen. Umso eher wüsste
man gerne, wer die Dame war:
eventuell die Comtesse de la Béraudière,
die laut Forscherin Nicholas
nur Bargeld akzeptierte?
Oder die Hauptlieferantin Hitlers,
die Münchener Galeristin
Maria Almas-Dietrich, die ihm
80 in Paris erworbene Gemälde
verkaufte? Frau Dietrich erwarb
aber auch besonders viele Fälschungen.
E. Polack bemerkt:
„Am Kunstmarkt im Allgemeinen
und im Hôtel Drouot im Besonderen
machten damals Kopien von Originalen
Furore. Das Abstoßen von Nachahmungen an die
Deutschen wurde der beliebteste Sport habgieriger
Händler.“ Auch der in Paris Millionensummen umsetzende
Hildebrand Gurlitt, Vater von Cornelius
Gurlitt, dessen ererbte Sammlung 2012 beschlagnahmt
wurde, erwarb gefälschte Bilder.
Einhellig heben die Autoren Nicholas, Feliciano
und Polack den Eifer der rheinischen Museumskuratoren
hervor. Sie stockten ihre Bestände in Paris
ab 1940 kolossal auf. Dem Rheinischen Landesmuseum
und dem Provinzialdenkmalamt in Bonn,
den Städtischen Kunstsammlungen von Düsseldorf,
dem Folkwang Museum in Essen, dem Kaiser
Wilhelm Museum in Krefeld und dem Städtischen
Museum für Kunst und Gewerbe in Wuppertal-Elberfeld
fügt Polack noch die Städtische Galerie
Frankfurt am Main hinzu, die zum Beispiel Werke
aus der „arisierten“ Galerie Pierre ankaufte.
Die Doktorarbeit, das Buch von Emmanuelle Polack,
ihre Ausstellung im „Mémorial de la Shoah“
(bis 3.11.) sowie die Mission von David Zivie sind
positive Schritte. Denn bislang ist in Frankreich
nicht viel Grundlegendes zur Bewältigung der
Raubkunstproblematik passiert.
Emmanuelle Polack: „Le marché de l’art sous
l’Occupation. 1940 – 1944“, Verlag Tallandier,
Paris 2019. Zurzeit ist keine deutsche
Übersetzung geplant.